Der ganz normale Wahnsinn
Der Wecker klingelt. Es ist zehn vor sechs. Nachdem nun mit Herumwälzen und Schlummertaste die Zeit komplett ausgereizt ist, quäle ich mich gefühlt in Zeitlupe aus dem Bett. Warum noch mal habe ich eine Schule gewählt, die 45 Kilometer von meinem eigenen Wohnort entfernt liegt und nur mit dem Überqueren von drei Autobahnen zu erreichen ist? Ach ja, ich hatte Sorge mich sonst in meinem Privatleben zu sehr einschränken zu müssen… ob das eine clevere Idee war? Um 5.50 Uhr halte ich das definitiv für eine meiner blödesten Ideen.
Um 6.30 Uhr durchforste ich noch schnell den Kühlschrank, um mir ein mehr oder weniger gesundes und praktisches Frühstück vorzubereiten, schmeiße dies in meinen Schulrucksack (ja ihr habt richtig gelesen, bei einer Lehrertasche tat mir nach einer Zeit die Schulter weh… aber anderes Thema;)) und hüpfe in mein Auto.
An der Schule angekommen, flitze ich noch schnell mit meinem USB-Stick zum Kopierer, um meine mit Liebe erstellten Materialien zu kopieren. Doch bin ich leider nicht die einzige, die morgens kopieren möchte. Nach einem Guten Morgen, reihe ich mich nun in die Schlange vor dem Kopierer ein. Alle beobachten ungeduldig, wie der Zeiger sich immer schneller auf viertel vor Acht zu bewegt. Es wird kurz hektisch, jeder hat auch nur gaaaaanz wenig zu kopieren und es ginge superschnell und dann KOPIERSTAU. Ich kann es nicht fassen. Während zwei Kollegen auf der Erde liegen und sich richtig verbiegen, nur um irgendwie herausfinden zu können, wo der Kopierer mal wieder sein Problem hat, beschließe ich, dass es wichtiger ist, pünktlich im Klassenraum zu sein. Ich stecke meinen USB-Stick frustriert wieder ein, schnappe mir meinen Rucksack und hetze leicht unentspannt zum Klassenraum. Auf dem Weg treffe ich viele Schüler:Innen. Guten Morgen, Guten Morgen, Guten Morgen. Verflixt, wo war noch gleich der Schlüssel? Die Schüler:Innen schieben sich immer mehr auf die Tür zu und werden leicht ungeduldig. Ah ja, da habe ich ihn gefunden und lasse die Meute in den Klassenraum. Diese Luft, die mich empfängt, ist schwierig in Worte zu fassen- muffig, schweißig- eben einfach nach Schule. Ich reiße die Fenster auf- prompt folgt der erste Protest. „Aber hier ist es total kalt Frau Lehrerin“. Ich erkläre ihr, dass sie dies kurz aushalten muss, damit wir eine frische und angenehme Luft zum Arbeiten haben.
Nun schmeiße ich den Beamer an und verbinde mich über den Apple TV (ja ihr habt richtig gelesen, wir sind ziemlich modern ;)). So weit, so gut. Wir begrüßen uns und meine liebevoll gestaltete PowerPoint Präsentation ploppt auf. „Frau Lehrerin können wir nicht einen Film schauen? Das Thema können wir doch schon.“ Nun heißt es stark bleiben, lächeln und erklären, warum es nicht der richtige Zeitpunkt für einen Film ist. Geschafft! Weiter gehts. Die Klasse macht gut mit, meldet sich viel und dann sollen sie an einer Umfrage teilnehmen. Ich verteile schnell die Schul-iPads und die Schüler:Innen scannen den QR-Code- alles könnte so schön sein, wenn nicht schon der erste Schüler feststellte: „Frau Lehrerin, das Internet geht nicht.“ Ich schaue nach- tatsächlich, das Schulinternet liegt mal wieder brach. Na toll, dann eben spontan ohne meine digitale anonyme Umfrage, sondern einfach per Handzeichen. Innerlich leicht frustriert zähle ich die Stimmen aus und wir besprechen das Ergebnis, dann klingelt es auch schon- wie fast immer einfach zu früh. Die Schüler:Innen fangen an zu kramen und die Tür geht auf. Für mich ist nun der Zeitpunkt gekommen den Raum zu wechseln. Packen, Stockwerke heruntereilen, den Schulhof überqueren, Kollegen grüßen. Guten Morgen, Guten Morgen, Guten Morgen. Ins nächste Gebäude rein, Treppe hoch und geschafft. Kaum da fange ich das ganze Prozedere wieder von vorne an: auspacken, Beamer an, Begrüßung. Guten Morgen, Guten Morgen, Guten Morgen. Die Schüler:Innen sollen in Gruppen zusammenarbeiten, die zufällig zusammen gelost wurden. „Neeeee Frau Lehrerin, mit der arbeite ich auf keinen Fall zusammen!“ „Frau Lehrerin kann ich nicht die Gruppe wechseln?“ „Dann arbeite ich eben allein.“ Statt den Unterricht wie geplant fortzusetzen, ist nun die Erziehung gefragt. Schnell erkläre ich, warum es wichtig ist, dass man mit jedem zusammenarbeiten können muss und warum man in einer Gruppenarbeit nicht allein arbeiten soll, dann ist es vollbracht- sie arbeiten. Zwar teilweise mit mürrischen Gesichtsausdrücken, aber da muss ich hart bleiben.
Während alle leise arbeiten, kommt eine Durchsage aus den Lautsprechern- irgendwas zum Verkauf im Kiosk. Na vielen Dank auch- die Arbeitsstimmung ist dahin, nun wird sich darüber unterhalten, wer was beim Kiosk erwerben möchte. Ich greife ein, erinnere an die Arbeitsaufträge, weiter gehts. Nun klopft es an der Tür. Ein jüngerer Schüler steht mit einer roten Karte vor der Tür. „Herr Lehrer hat gesagt, dass ich zu Ihnen kommen soll.“ Wieder Unterbrechung- ich lotse den Schüler rein. Die Schüler: Innen aus meinem Kurs fangen an zu lachen und fragen ihn, was er angestellt hat. Dies wird sogleich von mir unterbunden und weiter gehts mit meinem Unterricht. Dann müssen wir auch schon zusammenpacken. Die große Pause steht an. Dieses Mal treibe ich die Schüler: Innen etwas zur Eile an, den Klassenraum zu verlassen. Erinnere sie daran, ihre Jacken und das Frühstück mitzunehmen und flitze anschließend selbst aus dem Klassenraum- denn so langsam meldet sich mein Magen. Drei Stockwerke und vier Flure später bin ich am Lehrerzimmer ankommen. Dort erwartet mich ein Kollege direkt mit den Worten: „Wir müssen mal dringend sprechen, dein Schüler hat mich heute so genervt.“ Ich wiegele ab und sage, dass ich mit ihm sprechen werde. Fast bei meinem Platz und meinem Frühstück angekommen, ruft eine andere Kollegin meinen Namen. „Einer deiner Schüler steht vor der Tür und will irgendwas von dir. Komm mal bitte.“ Seufzend mit einer Hand mein langersehntes Frühstück umklammernd flitze ich zur Tür. Nachdem die Angelegenheit endlich geregelt ist, setze ich mich hin und gönne mir den ersten Löffel meines Frühstücks. Und dann ein schriller Ton- die Klingel läutet erneut den Unterricht ein. Schnell stopfe ich mir noch zumindest einen weiteren Löffel in den Mund, schaue meinem restlichen Müsli ein wenig wehmütig hinterher und mache mich mit meinem Rucksack, einem Stoffbeutel mit Klassenarbeiten sowie den Flyern, die ich unbedingt und möglichst gestern an meine eigene Klasse hätte austeilen sollen, auf den Weg in den nächsten Unterricht.
Und das ist er- ein ganz normaler geplanter ungeplanter Schulalltag!
